Vor ein paar Tagen habe ich mein Blog gestartet und in meinem ersten Beitrag auch erwähnt, daß mittlerweile kaum ein Tag ohne Meldung zum Urheberrecht vergeht. Nur ein paar Tage später hagelt es wieder Tweets, Berichte und Beiträge zum Thema, denn: es gibt einen ersten Entwurf zum Leistungsschutzrecht (#LSR). Dabei möchte ich jetzt gar nichts zum #LSR schreiben, es geht mir eher um ein Grundproblem: das Problem der ständig zunehmenden Unsicherheit.
Wir müssen uns jeden Tag in vielen Situationen immer wieder entscheiden. Viele dieser „Entscheidungen“ nehmen wir gar nicht mehr bewußt wahr – wie z.B. beim Autofahren. Das haben wir irgendwann gelernt und wir wissen (meistens), wie wir uns verhalten müssen. Das heißt nicht, daß wir dort keine Fehler machen – aber in der Regel wissen wir ziemlich genau, was wir gerade falsch gemacht haben und meistens geht es ja auch – glücklicherweise – gut aus.
Dieses „gute Gefühl“ zu wissen, was man da tut, ist beim Urheberrecht leider verloren gegangen – und dies nicht erst mit dem aktuellen Entwurf zum #LSR. Stellen Sie sich vor, Sie müßten an einer Kreuzung erst einen Anwalt anrufen, um zu fragen, ob Sie jetzt fahren dürfen oder nicht. So ähnlich empfinde ich es gerade mit dem Urheberrecht. Ganz viele Fragen bleiben offen, ganz viele Nutzugswege stehen unter dem Damoklesschwert einer kostenpflichtigen Abmahnung. Aber kann es denn sein, daß wir vor jedem Tweet, vor jedem Blogbeitrag , Beitrag bei Facebook oder Google+ bzw. vor jedem Verlinken erst eine Auskunft einholen müssen?
Dirk von Gehlen hat in seinem (sehr lesenswerten) Buch „Mashup – Lob der Kopie“ vor einer Kriminalisierung der Bevölkerung durch das Urheberrecht gewarnt. Für mich geht das aktuelle Unsicherheitsgefühl über das Risiko der Kriminalisierung weit hinaus. Das Alltagswissen der Menschen reicht plötzlich nicht mehr aus, um einfache Entscheidungen zu treffen, die ihre Präsenz und Kommunikation in sozialen Netzwerken und/oder auf Blogs betreffen.
Dabei geht es nicht um die Frage, ob eine Diskussion gut oder schlecht läuft, ggfs. sogar einen Shitstorm auslöst, sondern um die Frage der Angreifbarkeit und Haftung, die – aufgrund der mit Abmahnungen verbundenen hohen Kosten – berechtigterweise Angst auslösen – Angst um die eigene Existenz!
Nach Luhmann entsteht Unsicherheit bei gleichzeitigem Anfall von Wissen und Nichtwissen. Für Entscheidungen konnte man – so Fritz Simon im Buch „Einführung in die systemische Organisationstheorie“ – Seite 66 – das Wissen aus Erfahrungen über die Vergangenheit ableiten und so Entscheidungen für die vermutete Zukunft treffen. Wie aber können wir Entscheidungen für eine unsichere Zukunft treffen, wenn wir die Erfahrungen aus der Vergangenheit nicht als „sichere Basis“ sondern als Verunsicherung empfinden? Worauf können wir uns – gerade im Bereich Urheberrecht – verlassen? Was ist definitiv und ohne Einschränkung möglich und „erlaubt“?
Ich spüre diese Unsicherheit in vielen Tweets und Beiträgen in Blogs und sozialen Netzwerken und ich bin traurig über diese Entwicklung. Diese Art von Unsicherheit (die durch entsprechende Abmahnungen und Vorfälle noch genährt wird) kann letztlich – und da stimme ich Udo Vetter zu – zu einer „digitalen Kastration“ und damit zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit führen. Wenn wir nur noch die Entscheidung haben, ob wir schweigen oder angreifbar sind, dann haben wir keine Meinungsfreiheit mehr.
Wie geht es Ihnen/Euch damit? Überwiegt das Gefühl der Sicherheit (ja, ich weiß, was ich tue)oder das Gefühl der Unsicherheit (hoffentlich darf ich das/hoffentlich geht es gut)?
Über eine Teilnahme an der Abstimmung zu dieser Frage und natürlich auch über Kommentare und Antworten) würde ich mich freuen!
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